Expertinnen in die 1. Reihe! Warum jetzt die richtige Zeit ist, sichtbarer zu werden

Wo sind in der Corona-Krise die Expertinnen? Warum kommen in Zeitungen, Online-Medien und in Fernseh-Talkrunden deutlich weniger Virologinnen als Virologen zu Wort? Studien der MaLisa-Stiftung und eine Datenanalyse des Spiegel belegen jetzt: Nur jeder fünfte Experte, der Corona-Folgen öffentlich erklärt, ist eine Frau. Obwohl fast die Hälfte der spezialisierten Ärzte weiblich ist.

Die Corona-Krise führt uns die strukturelle Unsichtbarkeit von Expertinnen in den Medien vor Augen.

Der Zonta Club München II hat mich am 13.7. als als virtuelle Gast-Rednerin eingeladen. Thema meines Talks „Expertinnen in die 1. Reihe!“

Den „Zontians“ ist „Female Empowerment“ ein Herzensanliegen – genau wie mir. Was für ein schöner Rahmen also, zu diskutieren, welche gesellschaftlichen Änderungen nötig sind, um mehr Expertinnen im öffentlich Diskurs zu hören.

Die Sichtbarkeit von Expertinnen - das Thema meines Vortrags beim Zonta Club München

Sabine Zaplin

Autorin, Kulturjournalistin und Präsidentin, Zonta Club München II,www.zonta-muenchen-2.de

„Unserem Club gab Christina Teuthorn-Mohr in einem spannenden interaktiv gestalteten Vortrag tiefgründige Einblicke in das Thema „Expertinnen in die 1. Reihe“.

Wir haben bei ihrem Vortrag wie auch aus der anschließenden lebendigen Diskussion viel gelernt und nehmen für uns alle die Erkenntnis mit, unser Licht nicht länger unter den sprichwörtlichen Scheffel zu stellen. Ein herzliches Dankeschön, Christina Teuthorn-Mohr!“

Aktuelle Zahlen von zwei von der MaLisa-Stiftung in Auftrag gegebene Studien zeigen, wer während der Corona-Krise die öffentliche Diskussion geprägt hat. Medienforscherinnen der Uni Rostock nahmen sich die TV-Berichterstattung in der zweiten April-Hälfte vor, ein Daten-Forscher wertete im selben Zeitraum die Berichte in den Online-Auftritten von Printmedien aus. Das ernüchternde Ergebnis: Insgesamt kamen doppelt so viele Männer zu Wort wie Frauen: Sowohl im TV als auch in den Online-Artikeln der Printmedien mit Corona-Bezug.

Expertinnen sprechen nur halb so oft wie Experten; Copyright: MaLisa-Stiftung

Im Fernsehen sind Frauen in bestimmten Rollen wie Moderatorin oder Journalistin zwar gut vertreten, jedoch nicht, wenn es darum geht, eine Expertin zu sein.

Die Seltenheit von Expertinnen; Copyright: MaLisa-Stiftung

Frauen werden im Vergleich mit ihren männlichen Kollegen nur äußerst selten als „Expertin“, „Forscherin“ oder „Virologin“ bezeichnet. Und das, obwohl es ausgewiesene Expertinnen in diesem Bereich gibt (siehe #coronaexpertin).

Kaum Expertinnen; Copyright: MaLisa-Stiftung

Weitere Ergebnisse der MaLisa-Studien:

  • In den TV-Sendungen war nur jeder fünfte Experte weiblich (22%)
  • In den Online- Berichten wurden Frauen nur zu rund 7 Prozent als Expertinnen erwähnt.
  • Als Mediziner kamen vor allem Männer zu Wort – obwohl fast die Hälfte aller Ärzte in Deutschland weiblich ist.

Der Bayerische Rundfunk hat die Biologin Melanie Brinkmann und die Infektiologin Marylyn Addo zu den Ergebnissen befragt. Die beiden sehen als Hauptgründe für die mangelnde Medienpräsenz von Expertinnen: Zum einen die geringe Zahl von Professorinnen und weiblichen Leitungspositionen an medizinischen Fakultäten, insbesondere der Virologie. Zum anderen die Mutter-Rolle, die beispielsweise auch Addo in der Corona-Zeit sehr forderte: Sie sagte 90 Prozent der Presseanfragen ab, um ihre Arbeit als Forscherin, Ärztin und Mutter unter einen Hut zu bringen.

Und dann sieht Melanie Brinkmann noch einen weiteren entscheidenden Faktor: „dass viele Frauen zurückhaltender sind als Männer, und sich oft weniger zutrauen und nicht im Rampenlicht stehen wollen. Frauen denken glaube ich oft: ‚Es gibt doch bestimmt jemanden, der besser geeignet ist als ich.’“ Bei ihr sei das am Anfang ähnlich gewesen, sagt sie.

Es gibt doch bestimmt jemanden, der besser geeignet ist …

Ich weiß nicht, wie oft ich selbst diese Aussage von Interviewpartnerinnen gehört habe, wenn ich sie als Journalistin für Sendungen angefragt habe. In meinem Buchkapitel habe ich ausführlich über diese Zurückhaltung geschrieben und über das Phänomen des „Impostor Syndroms“: Die Experten-Angst, ein Hochstapler zu sein. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, sich zu zeigen.

Gerade Frauen, die viel Expertise anzubieten haben, fürchten sich oft vor der Sichtbarkeit. Sie haben Angst, dass sie trotz ihrer Erfolge als Hochstaplerin entlarvt werden, da sie diese dem Zufall zuschreiben. Zwar sind sie gewohnt, erfolgreich Höchstleitung zu bringen. Doch wenn es um sie selbst geht, fehlt es ihnen in der Tiefe an Selbstwert. Oft haben sie schon in der Kindheit erlebt, dass es gefährlich war, sich mit der eigenen Wahrheit zu zeigen und die eigene Meinung nicht zählte. Das Bedürfnis, von anderen gemocht und akzeptiert zu werden, ist oft sehr hoch – und entsprechend groß auch die Angst vor Ablehnung, die der Preis der Sichtbarkeit sein kann.

Warum sich Expertinnen in den Medien schwerer tun

Ein Gedankenexperiment – das Expertenrätsel: 

Ein Vater hat mit seinem Sohn einen schweren Unfall. Ihr Auto wird auf einem Bahnübergang von einem Zug erfasst. Der Vater stirbt noch am Unfallort, der Sohn ist lebensgefährlich am Kopf verletzt. Er hat Glück, denn in der Nähe findet gerade ein internationaler Chirurgen-Kongress statt, an dem auch eine Koryphäe der Gehirnchirurgie teilnimmt. Diese wird sofort verständigt und fährt in die Klinik. Als der Sohn in den OP-Saal getragen wird, ist das OP-Team komplett. Doch plötzlich hört man die erschrockene Stimme: „Ich kann nicht operieren – das ist mein Sohn!“

Wie kann das sein? Der Vater ist doch tot! – Ich muss gestehen, das war meine erste Reaktion, als mir vor mehr als zehn Jahren dieses Rätsel erzählt wurde. Beim Expertenkongress habe ich automatisch an eine männliche Koryphäe gedacht. Wieso kommt mir als Frau nicht die Mutter in den Sinn? Gerade im Experten-Bereich wirken noch unbewusst starke Gender-Stereotypen, die oft durch eine nicht gendergerechte Sprache verstärkt werden („der“ Experte, „der“ Speaker, „der“ Berater).

Die strukturelle Unsichtbarkeit von Expertinnen in den Medien

Auch Journalistinnen sind nicht davor gefeit, bei der Suche nach Experten erst einmal an Männer zu denken. Dies wirkt sich auf die Auswahl von Themen und Protagonisten aus.

Einige Studien zur Sichtbarkeit von Frauen in den Medien belegen eine strukturelle Unsichtbarkeit der Expertinnen.

Gerade in Medienunternehmen sind Frauen in der Entscheidungshierarchie unterrepräsentiert. Viele Journalistinnen engagieren sich daher im Verein „Pro Quote Medien“, damit es auch in Medienhäusern mehr Frauen in Führungspositionen gibt. Auch ich selbst bin inzwischen Pro Quote beigetreten, da ich diese Arbeit äußerst wertvoll finde.

Natürlich beeinflusst diese Unternehmenskultur auch die Meinungsbildung. Ich finde es äußerst wichtig, dass hier mehr Diversität Einzug hält.

Und ein weiteres wichtiges Projekt hat Pro Quote ins Leben gerufen: #coronaexpertin. Der Verein hat im Mai 2020 gezielt Klinikdirektorinnen angeschrieben und in sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #coronaexpertin dazu aufgerufen, die Namen von Expertinnen zu nennen. Das Ergebnis ist eine Expertinnen-Liste von Virologinnen, Infektiologinnen, Epidemiologinnen, Intensivmedizinerinnen, Sozialwissenschaftlerinnen, Philosophinnen und Wirtschaftswissenschaftlerinnen. Wenn nun auch genügend Journalisten, Redakteure und Talkshow-Besetzer diese Liste kennen und benutzen, wenn sie Experten/Expertinnen suchen, ändert sich hoffentlich bald auch der öffentliche Diskurs. Dann müssen sich nur noch die Expertinnen selbst trauen, den Schritt in die Sichtbarkeit zu wagen. Und das gilt für Corona-Expertinnen genauso wie für viele andere kompetente Frauen in ihren Tätigkeitsfeldern, die eine Botschaft haben, aber noch zögern, sie öffentlich auszusprechen.

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